Kolumne 26

Gärten sind zum Leben da, zum Überleben, zum Miteinander Leben.

Liebe Gartenfreundinnen und -freunde,

 

das Jahr 2022 geht zu Ende, und das neue Jahr steht schon bereit.

 

„Man kann gar nicht oft genug im Leben das Gefühl des Anfangs in sich aufwecken, es ist so wenig äußere Veränderung dafür nötig, denn wir verändern ja die Welt von unserem Herzen aus, will dieses nur neu und unermesslich sein, so ist sie sofort wie am Tage ihrer Schöpfung und unermüdlich.“

 

Rainer Maria Rilke, 1875–1926, österreichischer Schriftsteller und Dichter

 

Und bei mir so…

 

Mein Mann ist Journalist und Filmemacher und es kommt öfter vor, dass ich ihn bei Filmdrehs außerhalb von Köln begleite und dadurch bei seiner Arbeit unterstütze. Ich formuliere das dann gerne so: „Ich bin deine Kamerataschenträgerin und deine Fahrerin.“  Umgekehrt unterstützt mich mein Mann immer gerne in meinem Job: Stauden und Gräser mit unserem Hänger an meine Gartenkunden ausliefern. Er formuliert das dann so: „Ich bin dein Stauden-Gräser-Kistenträger und dein Fahrer.“ Eine Win-Win-Situation mit dem schönen Gefühl, ein tolles Arbeitsteam zu sein.

 

 

Die Reise ging diesmal nach Wilhelmshaven und Langeoog. Thema: Bürgerversammlung wegen des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven und der Schutz des UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer.

 

Auf Langeoog hoffte ich natürlich, Kegelrobbe und Seehund auf den Sandbänken anzutreffen. Die kann man mit einem Fernglas bei Ebbe beobachten. Wir waren aber bei Flut da. Also nix Robbe und so. Mit E-Bikes radelten wir durch eine wunderschöne Dünenlandschaft – das Filmequipment in den Fahrradkörben. Wenn ich meinen Blick über solch stimmige Landschaften schweifen lasse, habe ich sofort einen Masterplan Gräserlandschaften vor Augen. Die Natur bietet soviel Inspiration. Man muss nur hinschauen und begreifen.

 

 

Auf unserer Rückreise nach Köln haben wir einen Stopp in Leer eingelegt. Dort liegt der wunderbare Garten von Ernst Pagels.

Ich möchte jedem, der dort in der Nähe vorbeifährt, empfehlen diesen Abstecher einzuplanen. Ernst Pagels war einer der anerkanntesten und erfolgreichsten Staudenzüchter Deutschlands. 1913 in Stockelsdorf bei Lübeck geboren, verstarb er mit 94 Jahren 2007 in Leer.

 

Er gehörte wie Karl Foerster (1874–1970, Gärtner, Staudenzüchter und Garten-Schriftsteller) zu den ganz großen Stauden-und Gräser-Päpsten.

 

 

Ernst Pagels legte 1949 in der Deichstraße 4 in Leer eine Staudengärtnerei an und war dort bekannt für seine konsequente biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. Miscanthusgräser (Chinaschilf) unter norddeutschen Verhältnissen zum Blühen zu bringen, war sein erfolgreich gelungenes Alterswerk. Viele seiner Züchtungen sind von internationaler Bedeutung, z.B.: Salvia nemorosa Ostfriesland (Ziersalbei) und das wunderschöne Gras Miscanthus sinensis Malepartus (Chinaschilf) und viele mehr…

 

Ein schöne Beetkombi mit ausschließlich Ernst Pagels Züchtungen wäre: Achillea filipendulina Credo (Schafgarbe), Salvia nemorosa Ostfriesland (Ziersalbei), Salvia nemorosa Tänzerin (Ziersalbei), Eupatorium fistulosum Riesenschirm (Wasserdost), Miscanthus sinensis Beth Chatto (Chinaschilf), und für die schöne Blüte im Frühjahr Symphytum grandiflorum Miraculum (kleiner Kaukasus Beinwell).

 

All diese Pflanzen kommen gut mit trockenen Zeiten zurecht, sind standfest, blühen wunderschön und begeistern auch die Insekten.

 

 

„Gärtnern ist kulturelle Tätigkeit.“

Ernst Pagels, 1913–2007

 

 

2001 übergab Ernst Pagels sein Anwesen der Stiftung Mercurial, die es schrittweise zu einem offenen Bürgergarten machte. Und diesen Bürgergarten kann man heute noch jederzeit besichtigen. So auch mein Mann und ich. Viele anerkannte Gärtner und Landschaftsarchitekten haben sich seitdem in diesem schönen Park ihm zur Ehre dort verewigt: Piet Oudolf, Peter Janke, Henk Kramer.

 

Wir trafen im Park zu Beginn der Dämmerung ein. Für die herbstliche Gartenstimmung ein nahezu perfekter Zeitpunkt. Man spürt an diesem Ort sehr deutlich den inspirierenden freien Gartengeist, und er spiegelt deutlich das Naturverständnis und die Lebenshaltung von Ernst Pagels. Seine Gartenansätze waren nachhaltig und zutiefst menschlich und tiefgründig.

 

 

„Die Persönlichkeit von Ernst Pagels war geprägt von Ehrfurcht vor den Wundern und der Vielfalt der Schöpfung. Ihren Schutz empfand er als tiefe persönliche Verantwortung. Diese Haltung spüren viele Menschen als starke, wohltuende und heilsame Empfindung bei ihrem Besuch. Wir wollen dieses Erbe hüten im Wissen, dass sich die Freude am gärtnerischen Tun und Erfolg heute verbinden muss mit den drängenden Aufgaben des Naturschutzes und der Volksbildung in diesem die Natur bewahrendem Sinne, über alle behindernden Grenzen hinweg.“

 

Auszug von der Willkommenstafel direkt am Eingang von Ernst Pagels Garten, Freundeskreis und Stiftung Bürgergarten

 

 

Mir ist es in meinen Kolumnen immer wichtig, den Blick dafür zu öffnen, wie schön, reizvoll und faszinierend es ist, den eigenen Garten als eine zutiefst persönliche Begegnungs- und Gestaltungsmöglichkeit zu erleben. Wenn ich Ihnen von Gärten und Parks berichte, die außerhalb unseres Gartens hier in Köln-Weiß liegen, die mich beindrucken, inspirieren und mit Freude beseelen, sind das immer Orte, wo man den Geist und die Seele des Gartenbesitzers oder der Gartenbesitzerin spürt.

 

Gärten sind zum Leben da, zum Überleben, zum Miteinander Leben.

 

Mit einem Garten geht man durch dick und dünn. Durch alle Jahreszeiten, durch alle Lebensalter. Der eigene Garten kann einem helfen, nie den Kontakt zur für uns überlebenswichtigen Natur zu verlieren. Er schenkt uns Zeit und lässt uns sein. Auf den Knien liegend, Unkraut zupfend, mit der Gartenharke in der Hand und der Erde unter den Fingernägeln sehen wir alle am Ende eines Gartentages gleich aus. Müde, erschöpft, vielleicht auch Rücken. Aber der Kopf ist frei, und es fühlt sich gut an.

 

Mit einem Garten zu leben heißt, immer auch an Wunder zu glauben oder an Dinge, die man nicht sehen kann. Wenn der Dezembergarten an Farbe verliert, wenn viele Stauden sich oberirdisch verabschieden und sich in den Boden zurückziehen, dann braucht es den festen Gärtnerglauben, dass alles noch da ist und sich im nächsten Jahr immer wieder aufs Neue üppig und prachtvoll in den Beeten präsentieren wird.

 

 

Es lohnt immer, sich auf seinen Garten einzulassen.

 

Sehr lohnenswert und ein echtes Abendjuwel haben mein Mann und ich vor ein paar Tagen erlebt. Wir waren bei einer Lesung in Bonn bei Konrad Beikircher. „Sternstunden“ heißt die Reihe. Ein wunderschöner Abend. In kleiner Runde las Konrad Beikircher Weihnachtsgeschichten vor. Wir durften zuhören und genießen.

Eine Geschichte rührte mich besonders. Und da wir kurz vor Weihnachten stehen, findet sie hier ihren Platz. Vielleicht kennen sie einige unter Ihnen. Für die, die sie nicht kennen oder einfach nur jedes Jahr aufs Neue lesen möchten, … hier ist sie:

 

 

Vor 120 Jahren erschien dieser Artikel zum ersten Mal in der New Yorker The Sun– und bis zur Einstellung der Zeitung jedes Jahr aufs Neue. Und zwar auf der Titelseite, zu Weihnachten.

 

Mit dieser wunderbaren Geschichte möchte ich mich für dieses Jahr ganz herzlichst von Ihnen Allen verabschieden. Bleiben Sie fröhlich und zuversichtlich. Ich bin es auch.

 

Herzlichst

Ihre Margit Müller-Vorländer