Kolumne 33

Goldene Blütenlast und Duftende Sommersicherheit

 

„Der Sommer zog herauf, die Felder dufteten, die Mohnblumen standen wie Blutstropfen im blühenden Korn, die Rosen, die Kirschen und alle Sommerblumen im Garten glühten. Die Linden vor dem Hause trugen ihre goldene Blütenlast und dufteten Sommersicherheit.“

 

Helene Böhlau, deutsche Schriftstellerin, 1856–1940

 

 

Regen bringt Segen. In unserem niederschlagsreichen Sommer blüht und grünt es dieses Jahr fruchtbar und lebensspendend. Wasser ist Leben – auch wenn es mir an manchen Tagen zu viel des Lebens war. Der Geruch von feuchter, dampfiger Erde ist diesen Sommer ein ständiger Begleiter.

 

„In der That bleibt das Wasser einer der herrlichsten Gegenstände in der Schöpfung und die Seele der Landschaft. Es ist keine Szene so klein, wohin es sich nicht unter irgendeiner Gestalt schickte, keine ist so groß, die dadurch nicht noch an Lebhaftigkeit und Stärke, keine so glänzend, die nicht an Pracht gewinnen sollte.“

 

Christian Hirschfeld, deutscher Gartentheoretiker und Philosoph, 1742–1792

 

Durch unseren Welpen Henk erleben wir unseren Garten nochmal ganz neu. Seine Neugier und Freude am Entdecken, sein aufgewirbeltes Wesen, wenn er auf seine Art Pflanzen begutachtet – oder sagen wir lieber, ständig versucht sie als Spielkameraden zu gewinnen...

 

 

Trotzdem: Es macht mir immer Freude, wenn ich spüre und sehe, dass ein Garten einem eine Welt sein kann. Eine grüne Insel, die viele Möglichkeiten zum Entdecken bietet. Ein Kraftort der gut tut, Sicherheit gewährt und in ständiger Erneuerung reinigt und klärt.

 

 

„Der Glaube der Menschen an ihre Fähigkeiten hat einen tiefgreifenden Einfluss auf diese Fähigkeiten.“

 

Albert Bandura, kanadischer Psychologe, 1925–2021

 

 

Als meine tollen, mittlerweile schon erwachsenen Kinder, noch klein waren, fand ich es prima, dass jeder einen eigenen kleinen Raum im großen Gartenraum hatte, zum Gestalten und Bearbeiten. Sich etwas zu eigen machen und sich seinen eigenen Ort zu schaffen, ist eine gute Art, sich schon im Kleinen Perspektiven und Horizonte zu eröffnen.

 

 

„Das gute Leben ist ein Prozess, kein Zustand des Seins – vertraue dem Prozess.“

 

Carl Rogers, amerikanischer Psychologe, 1902–1987

 

 

Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass, wenn man Orte liebt und sich als ein Teil dieser fühlt, man behutsam und schützend mit ihnen umgeht.

 

In den ersten Welpenwochen mit Henk hat mich diese Einstellung einige Schweißperlen gekostet: die Sorge nämlich um die schönen weißen Echinacea und die strahlenden Rudbeckiablüten. Sie als Spielball enden zu sehen ... eine schon zerrreißende Vorstellung. Aber je mehr ich versucht habe gegenzuhalten, desto stärker wurde das Interesse an diesen zauberhaften Blüten bei Henk.

 


Schützen hieß für mich in diesem Fall: Loslassen. Und es trägt ... und hat funktioniert.

 

 

„Nicht aus jeder Handlung erwächst Glück, aber es gibt kein Glück, ohne zu handeln.“

 

William James, amerikanischer Psychologe und Philosoph, 1842–1910

 

 

Anfang des Jahres hatte ich ein Beet mit Schwertlilien aufgelöst, und mit Agastache (Duftnessel) neu bepflanzt. Diese Staude ist wirklich ein Rohdiamant für unsere fortwährenden Klimaveränderungen. Trockenheitstauglich, unkompliziert und eine natürliche Schönheit. Zudem ein Insektenmagnet mit auffallend schönen violetten Blütenrispen, die den ganzen Sommer hindurch blühen. Bei uns steht sie in direkter Nachbarschaft mit Gaura (Prachtkerze). Ein überschäumendes Schauspiel, das die beiden uns bieten. Einfach nur zauberhaft.

 

 

Ein weiteres blühendes Highlight ist die Kniphofia uvaria Green Jade (Fackellilie). Mit ihren neongrünen Blütenfackeln steht sie bei uns im Vorgarten und versprüht dort nun viele Wochen lang ihre exotisch anmutende pure Blühfreude. Die horstbildenden, grasähnlichen Blätter sind wintergrün – ein weiteres Plus dieser Staude. Ich mag sie am liebsten in Kombination mit Calamagrostis brachytricha (Diamantengras), wunderschön in Kies gebettet.

 

 

„Die Sonnenuhr

 

Selten reicht ein Schauer feuchter Fäule

aus dem Gartenschatten, wo einander

Tropfen fallen hören und ein Wander-

vogel lautet, zu der Säule,

die in Majoran und Koriander

steht und Sommerstunden zeigt;

 

Nur sobald die Dame (der ein Diener

nachfolgt) in dem heißen Florentiner

über ihren Rand sich neigt,

wird sie schattig und verschweigt.

 

Oder wenn ein sommerlicher Regen

aufkommt aus dem wogenden Bewegen

hoher Kronen, hat sie eine Pause;

denn sie weiß die Zeit nicht auszudrücken,

die dann in den Frucht- und Blumenstücken

plötzlich glüht im weißen Gartenhause.“

 

Rainer Maria Rilke, österreichischer Schriftsteller und Lyriker, 1875–1926

 

Herzlichst

Margit Müller-Vorländer