Kolumne 27

Und Zack stecken wir schon wieder voll drin

 

Liebe Gartenfreundinnen und -freunde,

 

jetzt stecken wir schon wieder voll drin … im Neuen Jahr! Grade erst begonnen, zack, bewegen wir uns gedanklich flink durchs laufende Jahr und schauen, wo was wie und welche Termine anstehen.

Etliche Menschen nehmen sich auch jedes Jahr aufs Neue Dinge vor, die sie an sich verändern wollen, zum Besseren meist :-), so wie: Abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, weniger trinken, mehr Sport etc…

 

 

Solche Gedanken möchte ich grundsätzlich nicht haben! Ich versuche gnädig mit mir zu sein und überlege mir Dinge wie: Was möchte ich mir dieses Jahr mal anschauen? Oder: Was möchte ich dieses Jahr mal ausprobieren? Aber nicht mit dem unbedingten Zwang, es auch genau dieses Jahr umsetzen zu wollen. Ich könnte, muss aber nicht. Das gefällt mir an der Haltung sehr gut.

 

 

„Bei uns darf alles wachsen

Wir kennen keinen scheelen Blick

Das letzte Gras soll in unsere Stuben

Hineinwandern dürfen

Und es ist den Hühnern eine Ehre

Auf unseren Tischen herumzuflanieren

Das Lamm ist uns heilig

Es wird nicht geopfert

Sondern liegt auf dem Sofa

Und sieht allen Unzulänglichkeiten zu

In unserer kleinen Republik

Ein bißchen grün kann sie sein

Ein bißchen kommunistisch

Auch ein bißchen katholisch

Ein bißchen holländisch

Ein bißchen italienisch

Sie muß nicht aber sie darf

Das ist unser Geheimnis:

Daß man alles nicht muß

Aber alles darf

Und da man alles darf

Muß man nicht alles…“

 

Hanns Dieter Hüsch, 1925–2005, Kabarettist und Schriftsteller

Auszug aus dem wunderbaren Text: Mein Testament

 

PS: Ich habe lange gebraucht, um den kompletten Text ohne Tränen der Rührung zu lesen, einfach nur beseelt und lächelnd.

 

 

Die Dinge, die ich dieses Jahr anstrebe, verrate ich Ihnen am Ende der Kolumne.

 

Januar ist der Monat, in dem man nicht sehr aktiv im Garten sein kann. Also ist man eher als Gedankengärtner aktiv. Jeden Morgen gehe ich durch unseren Garten und schaue äußerst interessiert auf den Boden, um jeden Vorstoß unserer Pflanzen aus ihrer Winterruhe freudig wahrzunehmen. Und da unser Winter bisher nicht zu kalt ausgefallen ist, tut sich in Bodennähe auch einiges.

 

Bei der Betrachtung des Bodens tauche ich gedanklich sanft ab. Die Selbstbetrachtung verliert sich in der Betrachtung des Ortes und der Pflanzen. Das ruhige Lebenstempo des Gartens überträgt sich unspektakulär und unaufgeregt auf mich. Sanft und unmerklich strahlt es auf mich zurück. Von diesen langen Momenten der Betrachtung und des Gedankenwechsels lasse ich mich unweigerlich einfangen. Darin liegt die große Qualität eines Gartens: dass der Garten sich seine Gärtner sucht und sie leidenschaftlich an sich bindet. Selbst in Kältezeiten wie Januar und Februar.

 

 

Jetzt ist die Zeit gekommen, alle Gräser auf Start zu setzen. Je nachdem wie groß der Garten ist, erleichtert man sich durch strukturierte Zeiteinteilung die anstehenden Rückschnittaktionen in den Winterwochen. Mich treibt die Kälte immer wieder schnell ins Haus, zu lang im Kalten verkürzt bei mir die Freude am Tun.

 

Bei einem meiner morgendlichen Gänge als Gedankengärtner kam mir die glorreiche Idee, eines unserer 20 Jahre bestehenden Schwertlilienbeete auszuquartieren. Ich brauche die Iris allerdings sehr in unserem Garten, weil ich das Komplettprogramm dieser wunderbaren Staude übers Jahr hinweg sehr schätze. Sie startet mit wunderschön gezeichneten Blüten im Frühsommer, und ihre Blattschwerter sind faszinierend konkret und scharf gezeichnet. Dazu kaum Ansprüche an den Boden. Nur ihre Rhizome, die aussehen wie Ingwerwurzeln, müssen oberhalb der Erde bleiben. Und die beste Nachricht: Sie kommen mit Hitze gut zurecht.

 

 

Da ich die letzten Jahre dafür gesorgt habe, dass sich in unseren vorderen Gartenräumen schönste Irissorten fest etabliert haben, kann ich im hinteren Bereich Neues ausprobieren und neu gestalten. Wir haben schon ein paar Freunde im Sinn, die sich über Mitbewohner im Garten freuen könnten. So reicht man Schönheit weiter und macht Platz für Neues.

 

Zum Neuen:

Ich bleibe an der Stelle in Blauviolett-Tönen. Nur andere Kandidaten.

Der Platz wird gedrittelt: für die tolle Salvia-nemorosa-Tänzerin und die traumhafte Salvia-patens-Cambridge Blue – und einen Hauch Stipa. Fertig.

 

Jetzt steht auch schon bald der Winterschnitt bei Rosen und Gehölzen an. Er ist ein viel und gegensätzlich besprochenes Thema, dieser Schnitt, und es gibt sowohl auf der einen wie auf den anderen Seite Einwände. Ein zu weites Feld…

 

Wir schneiden unsere Rosen in der Zeit von Ende Januar bis Ende Februar. Spätestens aber zur Forsythienblüte wäre der Rosenschnitt angebracht. Hortensien schneide ich grundsätzlich nur bis zum nächsten Auge runter. Heißt: nur die verwelkten Blüten, die im Winterbild noch soviel Anmut ausstrahlen.

 

 

Da wir aber viele Hortensien haben, teile ich mir auch hier die Rückschnittzeit gut ein. Andere Sträucher haben wir weniger bisher – was sich aber gerade ändert, da ich Geschmack an einigen sehr schönen Rhododendron-Sorten finde. Aber den schneidet man möglichst überhaupt nicht. Vita Sackville-West hat zum Gehölze-Schnitt etwas sehr Konkretes und, wie ich finde, sehr Ansprechendes geschrieben:

 

„Es lohnt sich immer, das tote Holz aus irgendeinem Strauch zu entfernen. Welche Unordnung sammelt sich unten in einem alten Philadelphus-Busch! Wieviele unnütze Zweige verunstalten ihn! Nehmt Säge und Hippe und verschafft ihm Spielraum zum Atmen, vor allem in der Mitte. Laßt Licht hinein und Luft! Dieser Rat ist allgemein beherzigenswert, denn es gibt keinen Strauch, der nicht daraus Nutzen zöge. Selbst der Ungeschickteste unter uns braucht sich nicht davor zu fürchten, das tote Holz abzuhacken, das die Natur selbst weggeworfen hat.“

 

Vita Sackville-West, 1892–1962, Schriftstellerin und Besitzerin von Sissinghurst

 

 

Und jetzt kommt hier – wie schon angekündigt – mein Wunschkonzert für 2023.

 

1. Giverny

Zwischen Paris und Rouen liegt das kleine Dorf Giverny am rechten Ufer der Seine. Bekannt geworden durch den Maler Claude Monet. Der kaufte dort 1890 drei Grundstücke und schuf in seinem Haus und Garten den Großteil seiner Werke. Monet liebte Gärten und war der Gartenkunst leidenschaftlich verfallen. Sie war seine Inspiration und Erholung, sein Refugium und sein Labor. Er malte die Pflanzenkombinationen, die er zuvor mit seinen sechs Gärtnern systematisch angelegt hatte. Die gelben und blassblauen Schwertlilienmotive und die vielen Seerosenbilder haben bestimmt viele von uns vor Augen.

 

All das habe ich noch nicht live gesehen. Ein guter Grund, das zu ändern.

 

„Für mich existiert eine Landschaft niemals an und für sich, denn ihre Erscheinung verändert sich mit jedem Augenblick. Aber sie wird lebendig durch ihre Umgebung, die Luft und das Licht, die sich ständig verändern …“

 

Claude Monet, 1840–1926, französischer Maler

 

 

2. Albert Kahn Garten in Boulogne-Billancourt, Vorort von Paris

Albert Kahn, zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der reichsten Männer Europas, war Bankier und großer Gartenliebhaber. Parallel zur Bankkarriere studierte er Philosophie und Jura. Er galt als feudaler Utopist und kosmopolitischer Romantiker. Er wollte auf seinen knapp 4 Hektar Land einen Mikrokosmos darstellen und demonstrieren, dass auch im Makrokosmos alles miteinander friedlich und harmonisch existieren kann. Als Menschenfreund träumte er von der Harmonie und dem Dialog zwischen Zivilisationen und den Völkern.

 

Auf seinem Anwesen ließ er japanische, französische und englische Gartenräume anlegen. Henri Bergson (Vertreter des Vitalismus und der Lebensphilosophie), Albert Einstein (Physiker), Auguste Rodin (Bildhauer und Zeichner), Paul Valéry (Lyriker und Philosoph) und viele mehr gingen als seine Freunde im Haus und Garten ein und aus.

 

1940 starb Albert Kahn vollkommen verarmt durch die Folgen der Börsen- und Weltwirtschaftskrise von 1929. Die Pflege des Gartens hat das Departement Hauts-de-Seine übernommen, und so kann jeder diesen besonderen Ort besuchen. Top sehenswert – wie ich vermute.

 

„Es gibt Sammlungen von Kunstwerken, die weder eine Leidenschaft, noch einen Geschmack, noch eine Intelligenz verraten, nur den brutalen Geschmack des Reichtums.“

 

Jules (1830–1870) und Edmond (1822–1896) Juot de Goncourt

Französische Sozialromanciers, Kunstsammler, Kulturhistoriker

 

Albert Kahn hat seinen Reichtum nicht nur in den Garten gesteckt, sondern zwischen 1908 und 1930 das damals größte ethnologische Foto- und Filmprojekt aufgebaut: Les Archives de la Planète.

 

Sein Traum war es, mit mehr als 100 Stunden Film und über 72.000 Farb- und Schwarzweißfotografien aus der ganzen Welt eine visuelle Darstellung des alltäglichen Lebens und so ein Verständnis für andere Menschen und deren Kulturen schaffen. Damit wollte er einen Beitrag für ein friedvolles Miteinander leisten.

 

3. Hidcote Manor Garden

Hidcote Manor Garden wurde ab 1907 mit viel Leidenschaft und Freude vom naturverbundenen Amerikaner Lawrence Johnston gestaltet. Der reiste kreuz und quer durch die Welt, um überall Pflanzen zu sammeln und auf seinem mehr als 40.000 Quadratmeter großen Anwesen im Südwesten Englands zu beheimaten. Gemeinsam mit einem großen Gärtnerteam legte er unterschiedliche Gartenräume an. Genialer Name für eine Firma, oder? Er thematisierte seine sogenannten Outdoor Rooms allerdings als geschlossene Gartenräume. Der Bezug nach außen wurde durch gezielt angelegte Sichtachsen inszeniert. Lawrence Johnston war sehr angetan von der Art & Crafts Bewegung, die besonderen Wert auf Handarbeit und die natürliche Schönheit von Materialien legte.

 

Hidcote Manor wurde auch Vorbild für viele heute sehr berühmte Gärten. Sogar Vita Sackville-Wests und Harold Nicolsons Sissinghurst, wurden von Lawrence Johnstons Gestaltungskunst inspiriert. Und da ich Sissinghurst vor einigen Jahren schon mit meinem Mann besuchen durfte – und schlichtweg total begeistert war – liegt es für mich nah, dass Hidcote Manor bald folgen muss.

 

 

„Der Winter ist des Gärtners schönste Zeit. Draußen knackt der Frost. Drinnen knackt es im Kamin …

 

Der Winter ist des Gärtners schönste Zeit. Wochenlang kann er sich aufs Zuschauen beschränken. Er ist zum Nichtstun verurteilt. Nicht einmal über den gefrorenen Rasen darf er laufen, das schadet den Gräsern …

 

Der Winter ist des Gärtners schönste Zeit. Vergessen ist der grausame Sommer mit den Arbeitswochenenden, den Fünfzehn-Stunden-Tagen, an denen der Gartenbesitzer nach dem Säubern und Aufräumen der lehmverschmierten Gerätschaften gegen Mitternacht noch einmal steifbeinig hinaustappte ins frischgeschorene Rasengelände und den Sprenger nun nicht mehr versetzte, sondern abschaltete, hernach mit weichen Knien kaum noch den Weg aus der Dusche ins Bett gefunden hat …

 

Der Gärtner ist kein Dichter, sondern Täter. Er setzt die Mütze auf, packt Handschuhe, Säge und Scheren, taucht den Pinsel in die Büchse mit dem Baumwundmittel, marschiert ins Freie, obwohl die schwache Sonne von blauweißen Wolkenwalzen weggeschoben wird, die einen wirbelnden, doch fast folgenlosen Schneeschauer von Nordwesten übers Haus werfen – er kann nicht länger warten. Der ganze Garten wartet. Der Winter, gottlob, ist bald vorbei.“

 

Johannes Roth, Autor

Auszug aus seinem Text: Was macht der Gärtner im Winter?

 

 

Herzlichst

Margit Müller-Vorländer